Frühgeborenen-Retinopathie
Frühgeborenen-Retinopathie
Als Frühgeborenen-Retinopathie, lateinisch Retinopathia praematurorum, werden Gefässwucherungen innerhalb der Netzhaut, der sogenannten Retina, eines frühgeborenen Säuglings bezeichnet. Besonders häufig sind von dieser Erkrankung Neugeborene betroffen, die extrem früh, also vor der 32. Schwangerschaftswoche geboren wurden. Ein weiterer Risikofaktor ist ein Geburtsgewicht unter 1.500 Gramm. Des Weiteren erhöht eine künstliche Beatmung die Anfälligkeit von Babys, an der Frühgeborenen-Retinopathie zu erkranken, besonders wenn diese künstliche Beatmung für einen längeren Zeitraum als drei Tage nötig war.
Glücklicherweise tritt die Frühgeborenen-Retinopathie meist in einer milden Form auf, wohingegen deutlich seltener ein schwerer Krankheitsverlauf zu beobachten ist. Die schwere Verlaufsform der Retinopathia praematurorum geht mit erheblichen gesundheitlichen Langzeitfolgen einher:
• Narbenbildung
• Kurzsichtigkeit
• Erblindung als Folge einer Netzhautablösung in späteren Jahren
Es gibt jedoch mittlerweile effektive Möglichkeiten, durch entsprechende Untersuchungen der als gefährdet geltenden Babys, Risiken im Rahmen einer gezielten Früherkennung rechtzeitig festzustellen. Eine frühzeitige Einleitung von Therapien kann schwerwiegende Spätfolgen abmildern oder sogar ganz verhindern.
Hauptsymptome der Frühgeborenen-Retinopathie sind Sehstörungen sowie Einblutungen, die im Glaskörper des kindlichen Auges zu finden sind. Diese Symptome und Beschwerden sind somit von den Eltern des Kindes kaum wahrzunehmen und der Säugling selbst kann ebenfalls nicht darauf aufmerksam machen. In der Konsequenz wird erst durch eine augenärztliche Untersuchung des Kindes festgestellt, dass es unter einer Retinopathia praematurorum leidet. Für die Diagnose der Erkrankung ist eine Augenspiegelung erforderlich, bei der die Netzhaut des frühgeborenen Babys mit einem speziellen Instrument untersucht wird.
Wird eine Retinopathia praematurorum diagnostiziert, stehen zwei Therapieoptionen zur Verfügung, um die Schäden und Spätfolgen möglichst zu begrenzen und die Sehkraft des Kindes bestmöglich zu erhalten:
• Vereisung (Kryokoagulation)
• Laserbehandlung (Laserkoagulation)
Bevor diese Behandlungsmöglichkeiten vorhanden waren, wurde in vielen Fällen die Frühgeborenen-Retinopathie mit einer Operation therapiert. Generell ist eine Behandlung der Retinopathia praematurorum nur dann erforderlich, wenn zusätzlich zur Diagnose eine "Plus disease" festzustellen ist. In diesem Fall betrifft die Gefässwucherung zusätzlich den hinteren Bereich des Auges. Ist der hintere Teil des Auges jedoch nicht davon betroffen, ist es ausreichend, die Frühgeborenen‑Retinopathie zunächst engmaschig zu kontrollieren, um gegebenenfalls rechtzeitig therapeutische Massnahmen einzuleiten.
Leider gibt es keine Möglichkeit, der Retinopathia praematurorum vorzubeugen. Es ist lediglich möglich, eine rechtzeitige Behandlung sicherzustellen, indem Säuglinge, bei denen ein erhöhtes Risiko für diese Erkrankung besteht, öfter augenärztlich untersucht werden. Darüber hinaus sind die Ärzte und das Pflegepersonal dafür sensibilisiert, bei den Frühgeborenen, die zu den Risikopatienten zählen, extrem sorgfältig den Sauerstoffgehalt im Blut zu überwachen. Zusätzlich wurde vor einigen Jahren speziell für Frühgeborene eine besondere augenärztliche Screening-Vorsorgeuntersuchung eingeführt. Mit diesen Massnahmen konnte erreicht werden, dass in den meisten Fällen die Retinopathia praematurorum früh- und damit rechtzeitig diagnostiziert werden kann und somit geeignete Therapien zur Behandlung eingeleitet werden.
Definition
Die Frühgeborenen-Retinopathie (Retinopathia praematurorum, RPM) ist eine bei frühgeborenen Kindern festzustellende Netzhautschädigung. Diese Schädigung wird dadurch verursacht, dass die Entwicklung der Blutgefässe der Netzhaut durch die verfrühte Geburt gestört wird.
Bei einem normalen Schwangerschaftsverlauf erfolgt das Einwachsen der Blutgefässe in die Netzhaut des Ungeborenen von der 16. Schwangerschaftswoche an bis zu der Zeit, in der normalerweise die Geburt stattfindet. Muss die Reifung des Säuglings viel früher ausserhalb des Mutterleibs stattfinden, wird dadurch die Versorgung der Blutgefässe mit Sauerstoff nachteilig verändert. Folge dieser Veränderung ist das übermässige Wachsen der Blutgefässe, wodurch wiederum die Netzhaut des Säuglings geschädigt wird und sich im schlimmsten Fall sogar ablösen kann. In diesen Fällen kann die Retinopathia praematurorum Sehstörungen oder sogar eine Erblindung des Babys zur Folge haben. Auch wenn es nicht zu einem schweren Verlauf kommt, ist dennoch festzustellen, dass Kinder, die unter einer Frühgeborenen-Retinopathie gelitten haben, signifikant häufiger im späteren Kindesalter von Sehschwächen betroffen sind, also eine Brille benötigen oder schielen. Betroffen von der Retinopathia praematurorum sind besonders Säuglinge, die
• vor Vollendung der 32. Schwangerschaftswoche geboren werden
• ein Geburtsgewicht unter 1.500 Gramm aufweisen
• mehr als drei Tage Beatmung benötigen
• unter anderen Erkrankungen leiden
Häufigkeit
Unter den Frühgeborenen, die mit weniger als 1.500 Gramm Gewicht geboren werden, sind 27 bis 40 Prozent aller Kinder von einer Frühgeborenen-Retinopathie betroffen. Die Retinopathia praematurorum tritt allerdings in unterschiedlich starker Ausprägung auf. Die schwerste Verlaufsform, die zur vollständigen Erblindung des Kindes führt, ist nur selten zu beklagen.
Ursachen
Für die Frühgeborenen-Retinopathie ist eine durch die Frühgeburt ausgelöste unvollständige Netzhautausreifung verantwortlich. Die kindliche Netzhaut entwickelt sich im späteren Schwangerschaftsverlauf und diese Entwicklung ist erst abgeschlossen, wenn der errechnete Geburtstermin erreicht ist.
Die Netzhaut besteht aus einem Gewebe, das mit einem Netz aus Blutgefässen überzogen ist. Durch diese Blutgefässe fliesst sauerstoffreiches Blut. Während der Reifung im Mutterleib ist der Sauerstoffpartialdruck noch sehr viel geringer als beim reifen Kind nach der Geburt. Der Sauerstoffpartialdruck gibt die Höhe des Anteils an Sauerstoff in den Blutgasen an. Erst wenn ein Baby nach der Geburt selbstständig atmet, steigt dieser Partialdruck an. Wenn nach einer Frühgeburt eine künstliche Beatmung erforderlich wird, kann dies dazu führen, dass der Partialdruck über ein gesundes Mass hinaus steigt.
Mit einem Ansteigen des Sauerstoffpartialdrucks ist ein Ansteigen der Sauerstoffsättigung im Blut des Säuglings verbunden. Dieser zu hohe Sauerstoffgehalt ist die Ursache für die Schädigung der Netzhaut bei der Frühgeborenen-Retinopathie. Nimmt dann dieses zu hohe Angebot an Sauerstoff im Blut ab, weil die Beatmung abgesetzt werden kann, sind häufig zahlreiche Gefässwucherungen an der Netzhaut des Kindes festzustellen. Im weiteren Verlauf kann es passieren, dass diese wuchernden Blutgefässe sogar in den Glaskörper hineinwachsen und ins Innere des Auges bluten. Darüber hinaus können sich aus dem Bindegewebe Membranen bilden. Ziehen sich diese Membranen zusammen, lösen sie manchmal die Netzhaut vom Augenhintergrund ab.
Symptome
Die Frühgeborenen-Retinopathie (Retinopathia praematurorum) äussert sich mit Symptomen wie Sehstörungen oder Blutungen im Inneren des Auges. Diese Symptome können Babys einerseits noch nicht wahrnehmen und andererseits auch nicht Eltern oder Ärzte darauf aufmerksam machen. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Frühchen, die ein besonders hohes Risiko aufweisen, regelmässig augenärztlich untersucht werden. Ein Augenarzt kann die Netzhautveränderungen rechtzeitig diagnostizieren und eine geeignete Therapie einleiten. Die Therapie richtet sich nach dem Schweregrad der Erkrankung. Die Frühgeborenen-Retinopathie wird in fünf Schweregrade eingeteilt.
Diagnose
Die Diagnose der Frühgeborenen-Retinopathie wird vom Augenarzt gestellt. Zu diesem Zweck wird der Augenarzt dem Säugling spezielle Tropfen in die Augen träufeln und mit einem Augenspiegel eine Augenspiegelung (Ophtalmoskopie) durchführen. Die Augentropfen führen zu einer Erweiterung der Pupillen. Es ist ausserdem erforderlich, den Untersuchungsraum abzudunkeln und darüber hinaus eine feine Lidsperre im Auge des Kindes zu platzieren. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Augen während der Untersuchung geöffnet bleiben. Jetzt kommt ein spezielles Untersuchungshäkchen zum Einsatz. Mit diesem Häkchen kann das kindliche Auge so bewegt werden, dass es möglich wird, die gesamte Netzhaut zu untersuchen. Die Untersuchung kann für das Baby etwas unangenehm sein, durch die zuvor verabreichten Tropfen ist die Untersuchung jedoch schmerzfrei. Gehört das Baby zu einer der Risikogruppen für die Frühgeborenen-Retinopathie, ist es empfehlenswert, diese augenärztliche Untersuchung zu Diagnosezwecken ungefähr ab der sechsten Lebenswoche durchzuführen. Abhängig vom festgestellten Befund, werden dann regelmässige Kontrolluntersuchungen anberaumt.
Therapie
Die Therapie einer Frühgeborenen-Retinopathie ist abhängig vom Stadium und von der Schwere der Schädigung an der Netzhaut. Entscheidend für die Behandlung ist besonders, ob auch eine Plus disease festzustellen ist. Bei diesem Krankheitsbild sind sogar die Blutgefässe im hinteren Bereich des Auges von der krankhaften Veränderung betroffen. Wurde eine Retinopathia praematurorum mit einer Plus disease diagnostiziert, handelt es sich um Typ 1 und ohne eine Plus disease spricht man von einer Frühgeborenen-Retinopathie vom Typ 2.
Das sofortige Einleiten einer Therapie ist lediglich bei einer Frühgeborenen-Retinopathie vom Typ 1 nötig. Bei diesem schwereren Verlauf haben Untersuchungen gezeigt, dass ein möglichst frühzeitiger Behandlungsbeginn zu den besten Behandlungsergebnissen führt. In diesen Fällen werden die Netzhautschäden durch eine Vereisung (Kryokoagulation) behoben. Alternativ wird eine Laserbehandlung (Laserkoagulation) durchgeführt. Beide Eingriffe finden unter Vollnarkose statt. Liegt eine Frühgeborenen-Retinopathie vom Typ 2 vor, ist es ausreichend, das Baby regelmäßig augenärztlich untersuchen zu lassen, wobei enge Zeitabstände zwischen den Untersuchungen die Gefahr minimieren, Schädigungen nicht rechtzeitig zu erkennen.
Früher wurde bei extrem schweren Verlaufsformen der Retinopathia praematurorum eine Operation durchgeführt. Bei dieser sogenannten Vitrektomie befestigt der Augenarzt die Netzhaut unter Zuhilfenahme eines künstlichen Glaskörpers. Diese Operation wird nicht mehr häufig durchgeführt und führt besonders, wenn die Frühgeborenen-Retinopathie bereits eine Erblindung verursacht hat, nur in seltenen Fällen zum Erfolg.
Prognose
Die Prognose ist umso besser, je früher die Frühgeborenen-Retinopathie diagnostiziert und behandelt wird. Es ist jedoch trotzdem möglich, dass die Netzhaut vernarbt, was dazu führt, dass das Kind kurzsichtig wird. Es ist ausserdem möglich, dass erst in einigen Jahren eine Netzhautablösung erfolgt. In diesen Fällen spricht man von einer sekundären Netzhautablösung, die auch dann noch zu einer Erblindung führen kann.
Nachsorge
Die regelmässige Nachsorge ist bei einer Frühgeborenen-Retinopathie von entscheidender Bedeutung dafür, dass etwaige Komplikationen früh genug diagnostiziert werden. Es ist deshalb sinnvoll, dass alle Babys, die vor der 32. Schwangerschaftswoche auf die Welt gekommen sind, bis zum sechsten Geburtstag regelmäßig einem Augenarzt vorgestellt werden. Gleiches gilt für frühgeborene Kinder, die im Zeitraum von der 32. bis zur 36. Schwangerschaftswoche geboren wurden, bei denen aber bereits eine Retinopathia praematurorum festgestellt wurde.
Die Behandlung und anschliessende Nachsorge ist bei einer Frühgeborenen-Retinopathie bis zum deutlichen Rückgang der Symptome oder einer vollständigen Ausreifung der Blutgefässe in der kindlichen Netzhaut erforderlich.
Vorbeugen
Eine Vorbeugung ist nicht direkt möglich, da die Krankheit ursächlich mit der Frühgeburt zusammenhängt. Eine Frühgeborenen-Retinopathie tritt vermehrt bei Säuglingen auf, die vor der 32. Schwangerschaftswoche geboren werden. Fand die Geburt zwischen der 32. und 36. Schwangerschaftswoche statt, steigt das Risiko, wenn länger als drei Tage eine künstlichen Beatmung nötig war. Trifft eines der Risiken zu, sollte der Sauerstoffpartialdruck engmaschig kontrolliert werden.
Das seit einigen Jahren eingeführte augenärztliche Screening hat dazu geführt, dass den schweren Verlaufsformen einer Frühgeborenen-Retinopathie meist vorgebeugt werden kann. Erblickt ein Kind vor der 32. Schwangerschaftswoche das Licht der Welt, erreicht es ein Geburtsgewicht von weniger als 1.500 Gramm oder muss es mehr als drei Tage beatmet werden, wird das Screening durchgeführt. Auf diese Weise wird die Frühgeborenen-Retinopathie rechtzeitig erkannt und kann umgehend behandelt werden.